Über 30.000 Artefakte: Neue Erkenntnisse über schwedische Mittelalter-Stadt Kalmar

Zwei Jahre lang sind einzigartige archäologische Ausgrabungen in der schwedischen Altstadt von Kalmar durchgeführt worden. Und die Ergebnisse, die als "außergewöhnlich" beschrieben werden, übertreffen die Erwartungen der Expert:innen.

Artefakt, Mittelalter, Fundstücke, Geschichte, Schweden
© Lisa Wiltse@Getty Images
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Es ist sehr ungewöhnlich, dass ganze Parzellen eines Stadtgebiets gründlich erforscht werden. Und noch weniger, dass die daraus resultierenden Ausgrabungen so viele bemerkenswerte Funde hervorbringen. In Kalmar, einer der ältesten - und im Mittelalter bedeutendsten - Städte Schwedens (Südostschweden), haben Archäolog:innen der Nationalen Historischen Museen (Arkeologerna) bei ihren zweijährigen Untersuchungen die Überreste von Hunderten von Gebäuden, Straßen und insgesamt 30.000 Artefakten aus der Zeit zwischen 1250 und 1650 n. Chr. freigelegt, wie in einer Pressemitteilung vom 4. März 2024 bekannt geben worden ist.

Es ist sehr selten, dass so große zusammenhängende Gebiete im Herzen einer Stadt untersucht werden, und das Ergebnis übertrifft alle Erwartungen.

Ein solcher Fund ist jedoch kein Einzelfall - so haben Forscher:innen etwa auch bereits eine vergessene Stadt in Äthiopien entdeckt. In China ist eine etwa 3.000 Jahre alte Stadt aufgetaucht.Und auch im norddeutschen Wattenmeer haben Wissenschaftler:innen eine lange verschwunden geglaubte Stadt wiederentdeckt.

Das mittelalterliche Kalmar im Zentrum der Machtkämpfe

In der Altstadt von Kalmar legte das Forschungsteam Teile von etwa 50 Parzellen frei, die Überreste von Hunderten von Gebäuden, Kellern, Straßen, Latrinen und Abschnitte der alten Stadtmauer der ummauerten Stadt offenbaren. Zu der Zeit, als sie noch gut sichtbar waren, war Kalmar dank seines bedeutenden Hafens an der Grenze zu Dänemark eine Festung Schwedens.

Die Stadt war ebenso Mitglied des mächtigen Hansebundes, einer Handelsvereinigung, die im Mittelalter von nordeuropäischen Handelsstädten gebildet wurde, die hauptsächlich an der Ost- und Nordsee lagen. Die Hansekontore waren wohlhabende Handelszentren, die Handelsprivilegien genossen und mit Waren wie Fisch, Getreide, Holz, Wolle und Edelmetallen handelten.

In Kalmar wurde 1397 auch die "Union von Kalmar" gegründet, ein Versuch der skandinavischen Königreiche Dänemark, Norwegen und Schweden, ein dauerhaftes Bündnis unter einem einzigen Monarchen zu schaffen.

Diese politische Union mit ihrer wechselhaften Geschichte endete 1523 mit der Übernahme des schwedischen Throns durch Gustav I. Vasa, was den Beginn der Unabhängigkeit des Det avlånga landet, "des langgestreckten Landes", bedeutete. Dies bedeutete jedoch nicht das Ende der Rivalitäten zwischen den Mächten auf der Halbinsel.

Spuren des Kalmarkrieges im 17. Jahrhundert

Die Archäolog:innen haben zudem Ascheschichten, zerstörte Gebäude, zahlreiche Projektile (Kanonenkugeln, Musketenkugeln, Pistolenkugeln) und Schwerter entdeckt. All dies sind ihrer Meinung nach Überreste des dänisch-schwedischen Kalmarkrieges (1611-1613), genauer gesagt, von dem Angriff der Dänen auf die Stadt im Sommer 1611, bei dem offenbar alle ihre Gehöfte niedergebrannt wurden. Das zeigen die verkalkten Überreste.

Der Konflikt brach aus, als nach territorialen Streitigkeiten zwischen den beiden Nachbarländern - insbesondere um Schwedens Wunsch, eine neue Handelsroute im Norden Norwegens (dem heutigen Lappland) einzurichten - 6.000 Mann des dänischen Königs Christian IV. Kalmar und seine Burg im Sturm eroberten.

Eine Invasion, die zu weitreichenden Zerstörungen und Verwüstungen führte, deren Bedeutung die hier durchgeführten Ausgrabungen bestätigt haben, da sie die Landschaft der Stadt umgestaltete. Magnus Stibéus, Projektleiter von Arkeologerna, berichtet dazu:

[...] Zahlreiche Spuren zeugen von den Kriegssituationen und davon, wie der Kalmarkrieg die Stadt verwüstet hat. [...] Dies zeigt sich vor allem an den Feuerspuren und den dem Erdboden gleichgemachten Gebäuden. Die Überreste der Gebäude und die kulturellen Schichten bilden ein historisches Archiv, das eine enorme Menge an Informationen und Geschichten über die politischen und wirtschaftlichen Ambitionen früherer Generationen, über den Alltag und die Lebensbedingungen liefert.

Der Kalmarkrieg endete in einer Sackgasse, da keine der beiden Seiten einen entscheidenden Sieg erringen konnte. Im Jahr 1613 unterzeichneten die Kriegsparteien den Vertrag von Knäred, der den Status quo zwischen Schweden und Dänemark-Norwegen bekräftigte.

Die Spannungen um die Kontrolle über die Gebiete und Ressourcen Skandinaviens blieben jedoch bestehen. Die Auseinandersetzungen in Kalmar waren schließlich nur der Anfang einer Reihe von (zahlreichen) Konflikten im Ostseeraum.

Einzigartige Schätze aus dem mittelalterlichen Alltag in Kalmar

Die schwedische Kleinstadt Kalmar hat also eine immense Geschichte. Doch die fast 30.000 Artefakte, die im Zuge des groß angelegten Ausgrabungsprojekts ausgegraben wurden, ermöglichen es den Forschern auch, verschiedene Aspekte des Lebens in der Stadt zu erforschen, insbesondere die alltäglichere Dimension der verschiedenen Gruppen - Händler, Handwerker, Beamte, Geistliche, Arme und Reiche -, die vor mindestens vier Jahrhunderten in der Stadt lebten.

"Die Archäologie wird zu einem Fenster in die mittelalterliche Geschichte, durch das wir mehr über das Leben von vor mehreren hundert Jahren erfahren können", erklärt Magnus Stibéus in der Veröffentlichung.

Wem gehörte beispielsweise dieser "fast neue" Goldring aus dem frühen 15. Jahrhundert, der mit einem Christusmotiv verziert ist und als einer der bemerkenswertesten Neufunde bezeichnet wird? Seine geringe Größe lässt darauf schließen, dass er vor 500 Jahren von einer Frau getragen wurde. Ähnliche Ringe wurden auch in anderen Regionen gefunden, z. B. in Nordfinnland, Östergötland oder Uppland (Südostschweden), so die Expert:innen.

Die Forscher:innen fanden auch ein einzigartiges Kristallamulett aus dem 12. bis 13. Jahrhundert mit drei eingravierten Figuren, das als "Alsengem" bekannt ist. Diese kleinen Steine, die nach der Insel Als (Dänemark) benannt sind, wo sie zum ersten Mal entdeckt wurden, werden oft in kirchlichen und weltlichen Kontexten gefunden. Es wird daher vermutet, dass sie früher als Pilgeramulette verwendet wurden.

Beide Objekte wurden in Zusammenhängen gefunden, die im heutigen Sinne als Müllhalden bezeichnet werden könnten. Vielleicht wurde der Ring vor Jahrhunderten verloren; das Alsengem weggeworfen, da es sich herausstellte, dass es zerbrochen war.

Dies sind jedoch nur Spekulationen. Auch die Überreste eines einzigartigen Steins, der möglicherweise von einem Friedhof aus dem 12. Jahrhundert in Kalmar stammt, stellt die Forscher:innen nach wie vor vor Rätsel.

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Verwendete Quellen:

Instagram: @AncientPages

AiD Magazin: "Aktuelles: Ausgrabungen im mittelalterlichen Kalmar bringen einzigartige Funde ans Licht"

Aus dem Französischen übersetzt von GEO

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