Sie werden oft als verspielt, freundlich und sozial beschrieben, werden manchmal sogar zu Lebensrettern: Doch vor der Küste von Wales zeigten Delfine eine ganz andere Seite. In der Cardigan Bay wurden Beobachter:innen Zeug:innen einer äußerst gewalttätigen Szene: Vier Große Tümmler (Tursiops truncatus) griffen einen jungen Gemeinen Delfin (Delphinus delphis) an, verfolgten ihn und töteten ihn. Dieses Ereignis, das als "interartlicher Infantizid" bezeichnet wird, wurde erstmals in dieser Region gefilmt. Ein beispielloser Angriff, der die Forschenden nachdenklich stimmt.
Ein brutaler Angriff zwischen Arten
Die Szene ereignete sich während einer Ausfahrt zur See, organisiert von der Sea Watch Foundation. Dylan Coundley-Hughes, ein Praktikant, der für eine wissenschaftliche Erhebung an Bord war, wurde zum direkten Zeugen des Angriffs, wie der Guardian berichtet:
"Während wir bei einer Bootsausfahrt zur Beobachtung der Meeresfauna eine Erhebung durchführten, sahen wir heftige Spritzer und viel Aufregung unter den Delfinen", erklärte er gegenüber IFLScience. "Zunächst sahen wir etwas, das in die Luft geschleudert wurde, und glaubten, es handele sich um einen Schweinswal. Aber zu unserer großen Überraschung war es ein junger Gemeiner Delfin – was diese Begegnung zu einem Fall von interartlichem Infantizid macht."
Bisher hatten Wissenschaftler:innen bereits Angriffe von Großen Tümmlern auf Schweinswale in der Bucht dokumentiert, jedoch nie auf Gemeine Delfine.
"Ich filmte gerade für einen privaten Dokumentarfilm und konnte kaum glauben, dass ich ein so seltenes Verhalten zwischen verschiedenen Delfinarten festgehalten hatte", ergänzte der junge Mann. "Es war zugleich bemerkenswert und erschütternd anzusehen."
Eine Obduktion des jungen Meeressäugers soll vom UK Cetacean Strandings Investigation Programme durchgeführt werden. Sie könnte helfen, die genauen Umstände des Angriffs besser zu verstehen, der viele Fragen über die Interaktionen zwischen Arten in gemeinsam genutzten Lebensräumen aufwirft.
❗️CONTENT WARNING - MAY BE GRAPHIC TO SOME❗️ When out with Dolphin Spotting Boat trips , one of our Research Interns captured an incredibly rare moment when four bottlenose dolphins attacked and killed a Common dolphin calf. Bottlenose dolphins, particularly the males, are known to pursue porpoises and other bottlenose calves, but not common dolphin calves. Making this encounter an interspecific infanticide - the killing of infants of one species by members of another species. 📽 Credits to Dylan Coundley-Hughes #bottlenosedolphin #marinescience #conservation #commondolphin #marinebiology
Posted by Sea Watch Foundation on Friday, April 18, 2025
Ein bereits beobachtetes, aber noch wenig verstandenes Verhalten
Auch wenn dieser Angriff schockieren mag, wissen Fachleute, dass Große Tümmler gegenüber anderen Meeresarten gefährlich sein können. Katrin Lohrengel, Leiterin des Cardigan Bay Monitoring Project, erklärt dazu in IFLScience:
Große Tümmler sind dafür bekannt, gegenüber anderen Arten ziemlich aggressiv zu sein; sie sind dafür bekannt, Gewöhnliche Schweinswale im Vereinigten Königreich zu töten, und man hat sie auch dabei beobachtet, aggressives Verhalten gegenüber anderen Arten wie Rundkopfdelfinen, Gestreiften Delfinen und Gemeinen Delfinen in anderen Regionen der Welt, etwa im Mittelmeer, zu zeigen.
Dieses gewalttätige Verhalten kann auch innerhalb der eigenen Art auftreten. Laut Katrin Lohrengel können männliche Große Tümmler Jungtiere ihrer eigenen Art töten – ein Verhalten, das als Fortpflanzungsstrategie interpretiert wird:
Da die Jungen der Großen Tümmler nach der Geburt etwa drei Jahre bei ihrer Mutter bleiben und intensive mütterliche Fürsorge benötigen, wird vermutet, dass männliche Delfine Infantizid begehen, um ihre Chancen auf eine Paarung zu maximieren; ein Weibchen ohne Jungtier ist eher bereit, sich zu paaren als eines, das noch ein Junges aufzieht.
Einige Expert:innen vermuten, dass die Großen Tümmler den jungen Gemeinen Delfin mit einem Jungtier ihrer eigenen Art verwechselt haben könnten. Peter Evans, Direktor der Sea Watch Foundation, hält diese Hypothese jedoch für unwahrscheinlich:
Es ist möglich, dass Große Tümmler kleinere Arten mit jungen Großen Tümmlern verwechseln, doch es gibt keine Beweise dafür, dass dies der Grund ist – und insgesamt wäre es überraschend, denn Wale und Delfine verlassen sich stark auf akustische Signale, um andere Individuen zu identifizieren, insbesondere ihren eigenen Nachwuchs. Sie können ihre eigenen Jungen leicht von denen anderer Arten unterscheiden.
Für ihn lässt sich dieser Angriff vielmehr einfacher durch Rivalität um Territorium oder Nahrung erklären.
"Interartliche Aggression tritt höchstwahrscheinlich auf, wenn beide Arten aufeinandertreffen – entweder weil sie dieselben Beutetiere jagen (ihre Ernährungsweisen überschneiden sich) oder weil sie einfach denselben Lebensraum nutzen", schließt er.
Auch interessant:
Ausgestorbener "Killer-Delfin": Grauenhafte Technik zum Töten seiner Beute
Wasser um Angler-Paar beginnt zu brodeln: Hunderte Haie stürzen sich auf ihre Beute (Video)
Der tödlichste Haiangriff der Geschichte: die vergessene Tragödie der USS Indianapolis
Verwendete Quellen:
Guardian:Rare footage captured of interspecies infanticide by dolphins off Welsh coast
IFLScience: Rarely Seen “Interspecific Infanticide” By Dolphins Caught On Camera Near Wales
Aus dem Französischen übersetzt von GEO